Systemtheorie und Konstruktivismus im praktischen Alltag | Impulse zum Nachdenken | Weinen oder Lachen?

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Viele Menschen denken, daß Weinen eine befreiende Wirkung hat. Deshalb wird in (therapeutischen) Gesprächen häufig auch versucht den Gesprächspartner zum Weinen zu bringen. Der Familientherapeut und systemische Supervisor/Coach Peter Nemetschek hat hier eine andere Ansicht:

"In Analysen und auch in humanistischer Psychotherapie war es zu jener Zeit eine Sternstunde für den Therapeuten, wenn der Patient - meist nach harter Vorarbeit - endlich weinte. Wieso? Weil Weinen das Zwerchfell erschüttert und entspannt, der Atem »schluchz, schluchz« in Gang kommt und nun das Hirn mit mehr Sauerstoff versorgt wird. [...] Das Dumme beim Weinen ist, es werden dabei Stresshormone, Cortisole, ausgeschüttet.
Wimmern, Weinen hat sich in der Evolution unter anderem entwickelt, um Mitleid auszulösen und Unterstützung zu bekommen. Bei Babys ist das ja in der Regel sinnvoll. Wenn ein älteres Kind jedoch heult und es das ersehnte Eis trotzdem nicht bekommt, dann hilft wohl nur: am besten noch mehr heulen ... Solche Stresshormone können jedoch körperlich sein, wenn die Stimmung in den Keller geht und sich lang andauernde Verzweiflung breitmacht.
Lachen hingegen schüttet Endorphine, Lusthormone, aus: Der Atem vertieft sich sehr rasch, schneller als beim Weinen. [...]
Disstress löst für gewöhnlich eine Problemhaltung aus. Der Atem wird flacher und flacher und unser Hirn ist nicht mehr voll funktionsfähig. Steht weniger Sauerstoff als normal zur Verfügung, beginnt es schlichtweg Unsinn zu denken. Oft sind es Angst- oder Wutgedanken, [...] Wer hingegen lacht und die Dinge mit Humor nimmt, bei dem wird das Gehirn gut durchblutet. Es entsteht ein positiver Stimmungsumschwung. Wir haben besseren Kontakt zu unserem Unterbewussten. Es entsteht Lust, Quatsch zu machen, wir haben blödsinnige Einfälle. Das steckt an. In dieser Atmosphäre kann es sein, dass das Unbewusste erstaunlicherweise einen unerwarteten Lösungsweg findet. Beispielsweise statt Angriff versöhnliche Töne anschlagen.
Noch etwas ist physiologisch bemerkenswert und sehr hilfreich: »Glückshormone« bzw. Botenstoffe, Endorphine wirken als Verstärker. Die betroffenen Neuronen signalisieren: Das tut gut! Wir wollen mehr davon! Mehr davon! Dadurch werden diese Nervenbahnen stärker und stärker. Und die Beziehung zwischen den Partnern gelöster und gelöster.
Je älter ich werde - zur Zeit bin ich 74 Jahre jung -, desto klarer wird mir: Viele zwischenmenschlichen Lösungen werden durch Quatsch machen und gute Laune schneller und besser gefunden als durch ein ernsthaftes dialektisches Pro und Kontra." 1

Quellen:

1 Nemetschek, P. (2011). Milton Erickson lebt! Eine persönliche Begegnung. Einzigartige Farbfotos und Originaltranskripte. Stuttgart: Klett-Cotta, 31-33.


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