Systemtheorie und Konstruktivismus im praktischen Alltag | Systemtheorie | Veränderungen im System (2)

Struktur



Dieses Auflösen und neue Koppeln ist die Grundlage für die Anpassungsfähigkeit des Systems. Die Chance, daß etwas neues entsteht, die Inovationsfähigkeit, die Kreativität und die Adaptierfähigkeit eines Systems liegt ganz nahe am Rande des Chaos. Die Voraussetzung, damit der Selbstorganisationsprozess einen Gleichgewichtszustand (= Homöostase) erreicht, ist die Wiederholung (= iterativer Prozess) der immer gleichen Typen von Aktivitäten oder Operationen (= Prozessmustern).1

Ein Beispiel beim Menschen wäre hier der Knochenab- und -aufbau: Das menschliche Knochenmaterial wird ständig ab- und wieder aufgebaut. Dies hat den Vorteil, daß Material und Energie für nicht-benötigte Strukturen eingespart werden können. D.h. der Abbau einer nicht-benötigten Struktur ist eigentlich effizient. Umgekehrt wird Kochen, der strukturell belastet wird (z.B. beim Sport), verstärkt, so daß er den Anforderungen einer höheren Belastung gewachsen ist. Für die Struktur und die Funktion der Knochen bedeutet dies, daß Kinder, die ihre Knochen im Alltag einer höheren Belastung aussetzen, sprich sich viel bewegen, stabilere Knochen entwickeln, als Kinder, die viel herumsitzen. Für ältere Menschen, die sich in ihrem Leben wenig bewegt haben, ist das Risiko für Osteoporose erhöht, weil das System zu wenig Reize für einen stabilen Knochenaufbau bekommen hat, und hier der Knochenabbau ab einem bestimmten Alter überwiegt. Wird der Reiz für das System durch eine höhere Belastung der Knochen erhöht, so wird der Knochen grundsätzlich wieder aufgebaut. Ein Knochenbruch heilt nur, weil der menschliche Knochen ständig auf- und abgebaut wird. Wäre der Knochen im Laufe des Lebens irgendwann fertig ausgewachsen und würde nicht mehr auf- und abgebaut, so gäbe es keine Umstrukturierungsprozesse, die zu Anpassungen an die Belastung bzw. die Heilung von Schäden führen würden.

Im Bereich eines sozialen Systems ist hier der Freundeskreis ein gutes Beispiel: Der Freundeskreis im Kindergarten ist meist anders zusammengesetzt als der Freundeskreis im Rentenalter. Im Laufe der Zeit geht der Kontakt zu alten Freunden verloren und dafür kommen neue Freunde dazu. In diesem Fall herrscht ein Gleichgewichtszustand, der die Personenzahl des Freundeskreises auf einem bestimmten Niveau hält. Im späteren Rentenalter, in dem viele Menschen weniger unternehmungslustig und weniger kontaktfreudig sind, wird der Freundeskreis dann immer kleiner, bis er aufhört zu existieren.

Ein weiteres sehr wichtiges Beispiel, das aber oft vergessen wird, ist die Gesundheit: "Die Gesundheit eines Menschen ist nicht ein Kapital, das man aufzehren kann, sondern sie ist überhaupt nur dort vorhanden, wo sie in jedem Augenblick des Lebens erzeugt wird. Wird sie nicht erzeugt, dann ist der Mensch bereits krank. Man kann den sozial Kranken daher als einen Menschen bezeichnen, bei dem die Erzeugung der Gesundheit nicht mehr richtig erfolgt." (Viktor von Weizsäcker)

Lebende Systeme haben außerdem noch eine Besonderheit.

Quellen:

1 Simon, F.B. (2015). Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus (7. Auflage). Heidelberg: Carl Auer.


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